Gesundheitsrisiko Blechkolonne?

STEP-Projekt

Gesundheitsrisiko Blechkolonne?

9. September 2024 agvs-upsa.ch – Zweifellos sind verstopfte Strassen ein riesiges Ärgernis. In einem medizinischen Notfall entscheiden Staus gar über Leben oder Tod. Indirekt gefährden sie auch Kinder und Jugendliche. Yves Schott


Staus können im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheiden. Foto: iStock

So wie die Wirbelsäule das Rückgrat des menschlichen Körpers ist, sind die Nationalstrassen das Rückgrat des Schweizer Strassenverkehrs. Wirbelsäule wie Nationalstrassen machen zwar quantitativ nur einen kleinen Teil jener Struktur aus, die sie unterhalten – und doch würde ohne sie das gesamte System kollabieren. Klemmt es an einem bestimmten Punkt, hat das eine ganze Kette von Beeinträchtigungen zur Folge. Und es klemmt leider immer häufiger.

Exakt 48 807 Staustunden zählte das Bundesamt für Strassen Astra in der Schweiz im vergangenen Jahr. Im Vergleich zu 2022 ein Plus von 22,4 Prozent – und dabei galt bereits diese Marke damals als neuer Rekord. Dieses Jahr wurden bereits Mitte Mai 40 000 Staustunden erreicht. Verwunderlich ist das nicht: Die Zahl der hiesigen Bevölkerung hat seit 1990 stark zugenommen, entsprechend nahm auch die Fahrleistung zu. Mit fast 140 Prozent (1990 bis 2023) fand ein überproportional hoher Anteil dieses Wachstums auf den Nationalstrassen statt. Im selben Zeitraum wuchs das Autobahnnetz aber bloss um 25 Prozent. Beeindruckende Zahlen? In der Tat.

Meinen «Autobahnen» und «Nationalstrassen» dasselbe?
Interessant ist zudem der Fakt, dass Autobahnen etwa zweieinhalb Mal so flächeneffizient sind wie die Eisenbahnen und rund acht Mal so flächeneffizient wie das übrige Strassennetz. Das schreibt das Astra in seiner Statistik «Verkehrsentwicklung und Verkehrsfluss» aus dem Jahr 2023. Berechnet wird die Flächeneffizienz in Personenkilometern pro Quadratmeter. Übrigens ist diese Flächeneffizienz zwischen 2009 und 2022 bei den Autobahnen wie beim Schienennetz leicht angestiegen.

Doch was unterscheidet den Begriff «Autobahnen» eigentlich von jenem der «Nationalstrassen»? Die beiden Wörter werden oft synonym verwendet, meinen aber streng genommen nicht exakt das Gleiche. Das Nationalstrassennetz umfasst per Definition «alle vom Bund betriebenen Strassen.» Und damit auch solche, die nicht nur Motorfahrzeugen wie Autos und Motorrädern vorbehalten sind. Voraussetzung für eine Aufnahme in das Nationalstrassennetz ist eine «gesamtschweizerische Bedeutung», wobei es sich hier auch um kleinere Verbindungen handeln kann. 

Da wäre etwa die N28 im Prättigau von Landquart nach Klosters. Sie ist offiziell als Hauptstrasse deklariert und darf teilweise von unmotorisierten Fahrzeugen benutzt werden. Da sie eine wintersichere Verbindung ins Unterengadin darstellt, gilt sie als Strasse von nationaler Bedeutung. Zuständig für Betrieb und Unterhalt ist das Astra.

Staus bringen gleich eine Reihe von Problemen mit sich 
Andererseits gibt es Autobahnen und -strassen, die nicht Teil des Nationalstrassennetzes sind. Ihr Anteil am gesamten Autobahnnetz ist verhältnismässig klein; fahren dürfen hier nur motorisierte Fahrzeuge, die Verantwortung für diese Abschnitte liegt beim Kanton. Als Beispiel ist hier die A52, die Forchautobahn von Zumikon nach Hinwil, zu nennen.

Die immer öfter überlasteten Autobahnen bringen gleich eine Reihe von Problemen mit sich: Sind die Strassen verstopft, weichen Autofahrerinnen und Autofahrer in Städte, Agglomerationen und Dörfer aus und belasten damit die dort ansässige Bevölkerung, die dann wiederum mit Lärm und Verkehr zu kämpfen hat. Damit steigt in diesen Gemeinden die Unfallgefahr, etwa wenn Quartierstrassen als Ausweichrouten benutzt werden, auf denen sich sonst Kinder und Jugendliche aufhalten.

Staus als fatales Risiko? Im schlimmsten Fall ja. Für Rettungskräfte geht es beim Transport einer Person in einer Notlage meist um Minuten oder gar Sekunden. Blechkolonnen können also über Leben und Tod entscheiden. Praktisch alle Autofahrenden wissen, wie schwierig es ist, im dichten Verkehr eine Rettungsgasse zu bilden. Zudem ereignen sich gerade auf Staustrecken überdurchschnittlich viele Unfälle.

Verkehr wird weiter stark zunehmen
Verstopfte Strassen stellen nebst dem Gesundheits- auch ein Wirtschaftsrisiko dar. «Stecken unsere Arbeitskräfte fest, können sie ihre Arbeit nicht erledigen», sagte SVP- Nationalrätin Diana Gutjahr an einer Medienkonferenz Anfang Juli zu diesem Thema. Allein auf den Nationalstrassen verursachen Engpässe jährlich Kosten von 1,2 Milliarden Franken, auf dem gesamten Strassennetz gardrei Milliarden. Gutjahr weiter: «Für uns Gewerbetreibende sind Staus auf den Nationalstrassen besonders schädlich, denn wir können nicht einfach auf den Gütertransport auf der Schiene umsteigen.»

Ganz generell geht es schlicht darum, die Nationalstrassen fit für die Zukunft zu machen. Denn die Bevölkerung und das damit resultierende Mobilitätsbedürfnis werden weiter zunehmen. Berechnungen gehen davon aus, dass der Motorisierte Individualverkehr (MIV) bis 2040 um 18 Prozent und der Strassengüterverkehr um knapp 38 Prozent anwächst. Ohne Massnahmen ist das Risiko, dass die Stauentwicklung explodiert, daher enorm hoch. E-Autos mögen zwar den CO2-Ausstoss senken, bedeuten in diesem Zusammenhang allerdings keine Lösung, schliesslich benötigen sie ebenfalls Platz.

Links-grüner Populismus in Reinkultur 
Schweizer Autobahnen sind der zentrale Pfeiler des MIV – und ein höchst effizienter dazu. Ihr Anteil am Strassennetz beträgt zwar gerade mal knapp drei Prozent, und doch absorbieren sie über 40 Prozent sämtlicher gefahrener Fahrzeugkilometer. Zudem werden rund 70 Prozent des Strassengüterverkehrs auf ihnen abgewickelt. Allerdings ächzen und stöhnen sie unter der Last, die ihnen tagtäglich, ja fast stündlich aufgebürdet wird. 

Das STEP-Projekt (Strategisches Entwicklungsprogramm), über das am 24. November abgestimmt wird, dient also lediglich dazu, die Autobahnen zu entlasten. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist aufgrund der aktuellen Entwicklungen mehr als nur ein Tropfen auf den heissen Stein, zum Glück. Von einem «Autobahn-Bauwahn», wie die Gegner die Ausbaupläne bezeichnen, kann hingegen keine Rede sein. Das ist, man muss es so deutlich sagen, links-grüner Populismus at its best.

Es wird kein einziger zusätzlicher Autobahnkilometer verbaut – dazu wurden sämtliche Projekte bereits finanziert; die Mittel dazu stammen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF). Wenn schon, handelt es sich bei STEP um «die punktuellen Verbesserungen», die allesamt dringend nötig sind. Um das Bild am Anfang dieses Textes aufzugreifen: Die Wirbelsäule hält eine Überdehnung nur eine bestimmte Zeit aus. Einmal grob beschädigt, sind die Folgen irreparabel.
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